Je mehr Aufmerksamkeit Hochsensibilität erhält, um so öfter bezeichnen Menschen sich selbst als solche. Erwachsene mögen dies wohl gut abschätzen können, vor allem dank der vielen Tests, die es gibt. Allerdings höre und lese ich immer wieder, dass Eltern ihre Kinder bereits als hochsensibel bezeichnen. Oftmals Kinder, die noch gar nicht oder sehr wenig sprechen können. Einfach basierend darauf, dass sie auf manche Dinge, Empfindungen, Reize reagieren, wie es kleine Kinder tun: sie weinen. Ich habe ein wenig den Eindruck, dass sich Eltern versuchen mit diesem „Stempel“ in ihrer Hilflosigkeit in solchen Situationen zu behelfen. Sich selbst ein wenig zu trösten und vielleicht bei anderen zu entschuldigen: Ach, mein Kind ist eben hochsensibel, dann reagiert es eben so und so.
Nur, hochsensibel heisst nicht übermäßig empfindlich auf einen bestimmten Reiz zu reagieren. Hochsensibel heisst, die Vielzahl gleichzeitiger oder zusätzlicher Reize (z.B. durch eine feinere Wahrnehmung) nicht richtig filtern zu können und dadurch zu überreizen. In gewissem Sinne sind alle Babies hochsensibel, denn sie überreizen schnell, selbst wenn man nur ein bisschen draussen war. Man darf nicht vergessen, dass alle Sinneseindrücke neu sind und entsprechend erst einmal kennen und sortieren gelernt werden müssen. Je besser das geht, umso weniger die Reizüberflutung. Generell ist die kindliche Wahrnehmung doch anders, als die eines Erwachsenen. Wasser aus der Dusche kann auf der feinen und wesentlich empfindlicheren Haut weh tun, auf niedriger Stufe immer noch zu warm sein und und und. Der Staubsauger kann als unglaublich laut und beängstigend empfunden werden. Ebenso andere Küchengeräte. Das Lachen fremder Menschen kann unheimlich wirken, die Tonlage unangenehm sein oder dem Baby/Kind das Gefühl vermitteln, dass ÜBER es selbst gelacht wird.
Hochsensibilität bei Kindern lässt sich wirklich erst sicher ergründen, wenn diese gut sprechen können. Das heisst, Worte auch in dem Sinne verwenden, wie sie in unserer Sprache vorgesehen sind. Deswegen ist es eher weniger hilfreich, einem Kind sehr früh den Stempel hochsensibel aufzudrücken. Es kann einfach sein, dass es Zeit braucht die Eindrücke, die es jeden Tag erlebt, für sich einzuordnen. Für Babies und auch Kleinkinder ist jeder Tag neu und so auch jede Empfindung. Sie haben noch nicht die Routine, die wir Erwachsenen haben (auch wir hochsensiblen Erwachsenen). So kann es sein, dass sie eben empfindlicher, überempfindlich auf Reize reagieren. Gehen wir dann achtsam mit unseren Kindern um, stellen wir schnell fest, woran es liegt. Geben wir ihnen dann Zeit, werden wir schnell merken, dass sie sicherer werden und vielleicht nicht mehr so stark reagieren.
Dazu ein kleines Beispiel: Das Gewitterhexlein fand bis vor kurzem den Duschkopf in der Dusche total gruselig und fing prompt an zu weinen, wenn sie ihn nur gesehen hat. Irgendwo verständlich, denn er ist so groß wie ihr eigener Kopf. Im Vergleich dazu findet sie den Duschkopf an der Badewanne, der eine ganz normale Standdardgröße hat, eher lustig. Mittlerweile kam sie sogar auf dem Arm mit in die Dusche (nachdem sie ein paar Mal gesehen hat, dass einer von uns unter die Dusche steigt und nichts passiert). Geräusche, wie z.B. von unserem Multizerkleinerer mag sie nicht, der Staubsauger war bis vor kurzem auch gruselig. Auf dem Arm ist aber alles nicht so schlimm, da wird sogar neugierig zu geschaut. Die Nähe zu Mama oder Papa vermittelt Sicherheit. Wären dies bereits Anzeichen einer Hochsensibilität, würde sie vermutlich auch auf dem Arm weinen und versuchen von der Situation weg zu kommen. Was nicht passiert, im Gegenteil, auf dem Arm kann man neugierig hinterher schauen. (Seit wir übrigens auch einen kleinen Handstaubsauger haben, ist auch der große nicht mehr ganz so schlimm.)
Es gibt so viele Möglichkeiten, warum Kinder so reagieren, wie sie es tun. Es muss nicht immer Hochsensibilität sein, nur, weil dieser Wesenszug gerade viel Aufmerksamkeit erfährt. Es muss auch nicht sein, dass die Reaktion eines Kindes in irgendeiner Form entschuldigt oder erklärt werden muss. Die Tatsache, dass es ein Kind ist, reicht aus.
Und ganz ernsthaft, wer nicht selbst hochsensibel ist, kann nicht abschätzen, wie es ist hochsensibel zu sein. Daher lässt sich dies von aussen, als Elternteil, Verwandte, Freunde etc. nur schwer feststellen. Sicher gibt es früh Anzeichen. Doch, wie beschrieben, können sich diese auch von allein regulieren. Lasst Euren Kindern also Zeit. Sollten sie tatsächlich hochsensibel sein oder einen anderen Wesenszug haben, wie z.B. Synästhesie, dann werdet ihr es noch früh genug merken. Dann könnt ihr ihnen helfen, damit umzugehen. Bis dahin (und auch danach) lasst sie einfach Kinder sein. Sie werden euch zeigen, was sie wirklich brauchen.
Ich denke mit dem Thema Hochsensibilität ist es ähnlich wie bei ADHS – sobald das Kind aktiv ist und die Eltern damit nicht umgehen können (Beispiel: in der Schule muss es ja stillsitzen!), wir es als hyperaktiv abgestempelt. Und umgekehrt sind Kinder, die auf Reize „wenig robust“ reagieren, schnell mal hochsensibel….
Ich persönlich habe keine Erfahrung damit und möchte keine Eltern be-oder gar verurteilen, ich denke nur, dass solche „Diagnosen“ zu oft viel zu früh gestellt werden, ohne darauf einzugehen oder zu berücksichtigen, wie die kindliche Entwicklung abläuft – dass Babies zb schnell überreizt sind und gesunde Kinder viel Bewegung und Aktivität brauchen!
Greets Cao
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Genau das meine ich. Es wird irgendein Grund gesucht, warum ein Kind sich wie ein Kind verhält.
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Dankeschön! Ich habe das Gefühl, heutzutage werden Kinder schnell in die Ecke „Da ist was nicht ok“ abgestellt, mit der Begründung, sie würden nicht funktionieren. Ja, hallo? Es sind Kinder. Die lernen doch alles noch. Wenn ein Kind morgens keinen Bock hat, sich anzuziehen, ist es nicht gleich ein Autist. Es hat einfach keinen Bock und versteht nicht den Sinn von Pünktlichkeit, den Wert eines festen Arbeitsplatzes (zu dem man nicht zu spät kommen darf), etc. Das sind ja auch „Erwachsenen-Dinge“.
Als Kind war mir auch wurscht, ob wir pünktlich zu Termin X kamen. Wenn ich spielen wollte, wollte ich spielen und musste mehrfach zum Kommen aufgefordert werden.
Ich kenne jemanden, der sein Kind allen Ernstes mit drei Jahren in eine Therapie (!) gegeben hat, weil es manchmal trotzig und aggressiv war. Schonmal was von Trotzphase gehört? Das macht keinen Spaß. Ist aber kein Grund für eine Therapie 😀
Heutzutage wird viel zu schnell irgendwo eingeordnet, damit man sagen kann „Mein Kind ist etwas besonderes. Es hat [blabla einfügen].“
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Jaha, genau das. Muss sagen, das Leben mit Kind entschleunigt ungemein, wenn man es zulässt. Wobei ich diese zur Arbeit Hetzenden, im Laufen Essenden noch nie verstanden hab. Kann aber auch daran liegen, dass ich zwar gern pünktlich bin, aber immer massig Zeit einplane. Mit Kind dann halt noch mehr, damit man in Ruhe los kommt.
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