Es fällt mir immer wieder auf. Unsere Welt wird immer verschulter, strukturierter, immer mehr „nur wenn Du dies tust, kannst Du das erreichen“. Besonders im Bereich Meditation und Energiearbeit, stoße ich immer wieder darauf. Man kann und darf nur praktizieren und/oder lehren, wenn man diesen oder jenen Kurs gemacht hat. Der natürlich Geld kostet. Oder man muss erstmal ewig diese eine „Schule“ besuchen und dann entscheidet der dortige Lehrer, ob man weiter „aufsteigen“ kann. Der Lehrer oder Meister ist deswegen dazu befähigt, weil er zum einen Kurse besucht und schon ewig praktiziert hat. Und er darf praktizieren, weil irgendwann sein Meister beschlossen hat, dass er das kann und darf.
Fällt nur mir auf, dass das keinen Sinn ergibt?
Wenn wir uns Religionsgründer und spirituelle Führer ansehen, dann hat von denen niemand „gelernt“, sondern ist intuitiv einem bestimmten Weg gefolgt. Siddharta Gautama, der erste Buddha, war ein Prinz und stellte schnell fest, dass die schon damals angepriesenen Wege nicht zum Ziel führen. Jesus war Tischler, Mohammed ein Schafhirte. Und viele andere, die später Apostel oder Propheten genannt wurden, waren einfache Menschen, die bestimmten Arbeiten gefolgt sind. Die meisten von ihnen strebten nicht nach Erleuchtung oder ähnlichem. Und auch Siddharta strebte nicht primär nach Erleuchtung, sondern nach etwas, das sein Leben ausfüllt, denn das Leben im Palast tat es nicht. Er probierte diverse Lehren und Wege durch, doch diese gingen ins Extreme und brachten nicht die gewünschte Erfüllung. Diese fand er, als er eine gewissen Balance zwischen beidem fand. So, wie einfache Menschen, die arbeiten und essen, was sie gerade haben. Und nach dieser Erfahrung hatte er ebenfalls eine bestimmte Art von Erlebnis. Und dieses Erlebnis brachte eine bestimmte Erkenntnis hervor. Diese Erkenntnis wird heute als Erleuchtung bezeichnet und als das zu erreichende Non Plus Ultra betrachtet. Gern wird Erleuchtung mit Allwissenheit gleich gestellt. Das ist sie jedoch mitnichten. Die Erkenntnis einer universellen Wahrheit heisst nicht, dass einem nun auf einmal alles Wissen in den Schoß fällt. Es heisst auch nicht, dass man auf einmal bestimmte Fertigkeiten geschenkt bekommt. Natürlich kann es sein, dass aus der Reflexion über dieses Erlebnis sich Fertigkeiten auftun. Das bedeutet aber nicht, dass diese nicht vorher schon da waren. Mehr ist es so, dass man bereit ist zu sehen, was man an Fertigkeiten hat. Eine solche Erkenntnis lässt einen Menschen sich selbst neu betrachten und erfahren.
Erleuchtung als das Ende eines bestimmten Pfades?
In den meisten Lehren, egal welcher Religion oder Lebenseinstellung folgend, wird die Erleuchtung als das Ende eines langen Pfades gesehen. Sie ist das Ziel und nur über diesen bestimmten Pfad kann man sie erreichen. Und dann? Es gibt kaum Antworten darauf, wie es denn nach der Erleuchtung weiter gehen soll. Vielleicht, weil die meisten davon ausgehen, dass diese doch eher erst zum Ende des Lebens erreicht werden kann. Oder, weil die Seele dann ab diesem Zeitpunkt sich in erhabenen Gefilden bewegt und irdisches Leben nicht mehr wichtig/notwendig ist.
Genau genommen, wenn wir nochmal diejenigen, die als Begründer der Weltreligionen oder als große spirituelle Führer angesehen werden, betrachten, dann sehen wir, dass ihr Leben mitnichten zuende wahr. Eher begannen sie danach zu lehren, was sie erlebten, gaben Liebe und Respekt für alles Leben im Universum weiter. Erst viel später, lange nach ihrem Tod, begannen ihre Schüler, Strukturen und Lehrpfade festzulegen und diese als den jeweils einzigen Weg fest zu legen. Und damit zu einem großen Teil die Lehren ihrer eigenen Lehrer mit Füßen zu treten. Die Intentionen treten in den Hintergrund und verblassen vollends vor dem Rezitieren und befolgen bestimmter Regeln und Vorschriften.
Erleuchtung als das Ergebnis des rechten Weges
(Ich fühle mich ob des heutigen Wortverständnisses veranlasst, darauf hinzuweisen, dass „rechter Weg“ nichts mit einer politischen Gesinnung zu tun hat, sondern als „richtiger“ bzw. „authentischer“ oder „mit dem Herzen übereinstimmender“ Weg zu verstehen ist.)
Erleuchtung, Satori, Erkenntnis einer universellen Wahrheit – es gibt viele Worte, die diese bestimmte Erfahrung umschreiben. Ein solches Erlebnis zu beschreiben ist in der Tat schwer. Nicht nur, weil es einfach sehr individuell ist, sondern auch, weil es eine Erfahrung jenseits aller Worte, aller Begrifflichkeiten ist. Es ist eine Erfahrung, die den Geist berührt, die man im Herzen spüren kann. Begrifflichkeiten sind in ihrer Beschreibungskraft da doch eher schwach und können das Kraftvolle, Umwerfende und nicht selten Überraschende einer solchen Erfahrung nicht beschreiben.
Nun, wie kommt es eigentlich, dass so wenige, die doch schon so lange bestimmten Pfaden folgen, dieses Erlebnis nicht haben, andere die dies nicht tun, jedoch schon? Wie kann es sein, dass nicht die Dauer der Praxis „belohnt“ wird, wo doch andere viel länger darauf hinarbeiten? Darauf hinarbeiten, genau das ist der Knackpunkt. Um eine derartige Erfahrung zu machen, muss der Weg, dem man folgt, zu einem passen. Das mag der einer bestimmten Religion oder Philosophie sein, deren Lehren einem zusagen. Das kann auch ein Weg sein, der schlicht von Liebe und Respekt geprägt ist, der Arbeit nicht scheut und Hilfe wertschätzend annimmt und erwidert. Ein Weg, der nicht einfach so beschritten wird, sondern ganz bewusst, mit ganzem Herzen und somit mit ganzem Geist. Etwas, das aus dem Herzen heraus geschieht, kann nichts anderes als ehrlich und wahr sein. Und nur dann, wenn alles, was wir tun, mit dieser Haltung getan werden, öffnen wir uns selbst so weit, dass wir Erkenntnis erlangen können. Wenn die Lehren, denen wir folgen, nicht die unseren sind, dann sind sie nur leere Worte. Stimmen die Lehren mit unseren Herzen überein, nur dann können wir wahr und echt handeln. Und nur wer wahr und echt ist, kann sich öffnen für Wahrheiten und Erkenntnisse, die nicht von anderen geformt wurden.